Profile der Wissenschaftsbotschafter/innen
Dr. Maria Heidegger
- 1-3 Besuche pro Jahr
- Region: Tirol
- Anfallende Kosten für die Schule: Erstattung der Fahrtkosten
Forschungsschwerpunkte
- Medizin- und Psychiatriegeschichte
- Körpergeschichte
- Geschichte der Sinne
- Geschichte der Geschlechterbeziehungen
- Public History
Aktuelle Projekte
Patient/innen und Passionen: In diesem Projekt geht es um eine Schmerzgeschichte aus katholischer Perspektive. Die aktuelle historische Forschung zum Phänomen Schmerz setzt sich kritisch mit einer fortschrittlichen Geschichtserzählung auseinander, die von einer zunehmend weltlichen medizinischen Schmerzbewältigung und Schmerzvermeidung ausgeht. Im 19. Jahrhundert, so lautet diese doch sehr einseitige Erzählung, habe der Schmerz seinen Status als „Geschenk“ Gottes weitgehend verloren, sei etwas geworden, was man vermeiden müsse und dank medizinischen Fortschritts kontrollieren könne, zum Beispiel durch die Narkosetechniken, die man im 19. Jahrhundert entwickelt hat. Vor einem solchen Hintergrund erscheinen dann solche Frömmigkeitspraktiken innerhalb des Katholizismus, die dem Schmerz etwas Positives abgewinnen konnten, als Überbleibsel von älteren, mittelalterlichen Traditionen, als Erben einer Zeit, in der eine Passion für den Schmerz kultiviert wurde, die im Widerspruch mit den neueren medizinischen Auffassungen geriet. Aber schaut man genauer hin, kann man die Geschichte des Schmerzes im katholischen Milieu nicht so eindimensional erzählen. Denn während gleichzeitig eine relativ schmale und elitäre Schicht den Schmerz tatsächlich als Weg zu Gott, als Buße, Erlösung oder Nachfolge Christi idealisierte, waren der Großteil katholischer Initiativen, karitativer Organisationen und katholischer Krankenhäuser sowie Orden, die sich der Krankenpflege widmeten, ganz im Gegenteil aktiv daran beteiligt, Schmerzen zu lindern. Das Projekt setzt sich daher zum Ziel, Fallbeispiele und Orte zu untersuchen, in denen eine katholische Idealisierung des Schmerzes und Versuche, Schmerzen zu vermindern, zur selben Zeit auftraten. Den Umgang mit Schmerz untersuchen wir anhand verschiedener Personengruppen und zwar vor allem in dem von Zeitgenossen damals mit dem Label „heilig“ versehenen Land Tirol: Den Stigmatisierten, die mit den Wundmalen Christi eine Art Neubelebung katholischer Frömmigkeitsformen personifizierten und als medizinische Ausnahmeerscheinungen diskutiert wurden, den Patient*innen von Landärzten, katholischen Krankenhäusern und dem 1830 eröffneten psychiatrischen Krankenhaus in Hall in Tirol, und den Angehörigen des Krankenpflegeordens der Barmherzigen Schwestern. Wir fragen danach, was Menschen als emotionalen und/oder physischen Schmerz beschrieben, wie sie Schmerz interpretierten und ob diese Interpretation von neuen medizinischen Erkenntnissen beeinflusst war, sowie wie sie auf Schmerz reagierten – mit Praktiken der Schmerzlinderung, Gebet oder auch, indem sie Schmerzen bewusst auf sich nahmen. Auf diese Weise möchten wir der für das 19. Jahrhundert immer noch oft behaupteten scharfen Gegenüberstellung zwischen religiösen und medizinischen Auffassungen eine neue Geschichte des Schmerzes entgegenstellen. Wobei die Untersuchung des Phänomens Schmerz und der Reaktionen auf Schmerzerfahrungen führt auch zu Fragen nach dem Mitgefühl und der Sympathie führt, und damit zu ganz aktuellen Fragen danach, wessen Schmerzen wir überhaupt sehen und mit wem wir sympathisieren können.
The Noise of Medicine / Medizingeschichte des Hörens und Horchens / Musik und Medizin – Studien im Feld der Medical Humanities: Hierbei handelt es sich nicht um EIN Projekt, sondern um verschiedene miteinander verknüpfte Forschungsinitiativen, die unter dem Dach des Forschungszentrums Medical Humanities an der Universität Innsbruck stattfinden. Die Medical Humanities sind ein Forschungsfeld, das sich mit den Wechselwirkungen von Kultur und Medizin bzw. mit Kultur in und der Medizin auseinandersetzt. Mein besonderes Interesse gilt einerseits dem Schmer (siehe oben) und den Sounds, die im medizinischen Kontext in Geschichte, Gegenwart bzw. in verschiedenen Kulturen wahrgenommen werden. Die Forschungsgruppe vereint verschiedene kulturwissenschaftliche Forschungsperspektiven (u.a. Geschichte, Literaturwissenschaften, Bildungswissenschaft, Musikwissenschaft). Aktuell untersuche ich anhand von historischen psychiatrischen Krankenakten das Phänomen des Stimmen-Hörens und Stimmen-Spürens im 19. Jahrhundert. Die Zugänge zu sensorischen Phänomenen wie dem Hören und Horchen, Tasten, Sehen, Schmecken verlaufen vor allem über schriftliche Quellen wie bspw. In meinem Fall Krankenakten, Berichte von Besucher*innen, Anstaltsbeschreibungen oder historische Bauplanzeichnungen, in denen – gelegentlich – Geräusche von Patient*innen ein Echo fanden: beispielsweise ihre lauten Schreie oder leise gemurmelten Gebete, Selbstgespräche, Instrumentalmusik und Gesang, lautes Vorlesen oder Predigten, Essens- und Arbeitsgeräusche, das Rollen der Billardkugeln im Aufenthaltsraum oder Tischlerarbeiten aus der Werkstatt. In diesen Quellen wird besonders der lärmende Aspekt des Körperlichen und die „laute“ Medizin betont, während das leise oder lautlose individuelle Hören im Hintergrund bleibt. Um einen Ort – wie beispielsweise ein Krankenzimmer oder auch eine Schulklasse – als Sinnesraum akkurater begreifen zu können, braucht es Forschungsansätze, die die vorhandenen Quellen neu interpretieren.
Sorgen um die Seele. Psychiatrie und Religion in Tirol, 1830–1850: Inhalt des Projekts sind die Sorge, das Sorgen, die Sorgenden und die Sich-Sorgenden um die psychische Gesundheit und das Seelenheil von Patient/innen der 1830 errichteten Irrenheilanstalt Hall in Tirol. Insbesondere untersuche ich ausgehend von dem nahezu lückenlos erhaltenen historischen psychiatrischen Krankenaktenbestand sowie der Verwaltungsakten im historischen Archiv des heutigen Landeskrankenhauses Hall in Tirol und weiterer Aktenbestände wie der Sanitätsakten im Tiroler Landesarchiv sowie anhand von zeitgenössischer Literatur zu Pastoralmedizin und Psychiatrie das zeitgenössische Verhältnis zwischen Seelsorge und Seelenheilkunde, entsprechende Deutungsmuster psychischen Krankseins sowie aus einer patient*innenenzentrierten Sichtweise religiöse Erfahrungsräume. Der Untersuchungsraum ist das mehrsprachige Kronland Tirol und Vorarlberg in seinen historischen Grenzen. Der zeitliche Schwerpunkt stellt die psychiatriehistorisch bislang weniger erforschte erste Hälfte des 19. Jahrhunderts dar. Untersucht wird gerade jener prägende Zeitraum, in dem das „moderne“ Tirol als konservative Neugründung und als territoriale Einheit, als „Kommunikations-“ wie „Wahrnehmungsraum“ entstand, geprägt von Zensur, rigider polizeilicher Kontrolle, disziplinierenden Zugriffen auf die Bevölkerung, katholischer Erneuerung und einem innigen, tief auf die Mentalitäten eingreifenden Frömmigkeitsstil. Ein patient*innenzentrierter Zugang rückt die jene Menschen, die in dieser Zeit an einer verzweifelten Traurigkeit um ihre eigene Seligkeit litten und in der frühen Anstaltspsychiatrie seit 1830 behandelt wurden, in den Mittelpunkt. Ergänzend werden therapeutische und seelsorgerliche Praktiken im Umgang mit den sogenannten „religiös Wahnsinnigen“ in den Blick genommen. Die doppelte Frage nach der Sorge und den Sorgen ist notwendig, da sich historische Leiderfahrungen nur aus Praktiken erschließen lassen. Projektergebnis ist ein kultur- und wissenschaftshistorischer Forschungsbeitrag zur internationalen Psychiatriegeschichte, vorrangig aus einer patient*innenorientierten Sichtweise.
Auszug aus dem wissenschaftlichen Werdegang
- 1988–1993 Diplomstudium Geschichte und Politikwissenschaft in Innsbruck, Dissertation 1998 („Soziale Dramen und Beziehungen. Das Landgericht Laudegg in der Frühen Neuzeit“)
- 1996–1998 DOC-Stipendiatin der ÖAW – Österreichische Akademie der Wissenschaften. 1996–2000 Lehraufträge am Institut für Geschichte der Universität Innsbruck. 1998–2000 Vertragsassistentin im Fach Österreichische Geschichte (Vertretungsstelle). 2000¬–2003 verschiedene Lehraufträge an der Universität Innsbruck, unterbrochen durch Karenz. 2005–2013 Universitätsassistentin im Fach Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Vertretungsstelle), 2013¬–2017 Inhaberin einer Erika-Cremer-Habilitationsstelle an der Universität Innsbruck mit dem Habilitationsprojekt „Sorgen um die Seele. Psychiatrie und Religion in Tirol 1830–1850“
- 2013–2015 Leiterin der Forschungsplattform Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck an der Universität Innsbruck
- 2017 Unternehmensgründung: Heidegger, Hilber und Siegl. Die HISTORIKERinnen. (Durchführung verschiedener Geschichteprojekte, vor allem im Auftrag von Gemeinden und Kultureinrichtungen)
- 2017/18 Lehrbeauftragte an der Universität Salzburg, Institut für Geschichte
- 2018–2022 Projektleitung und Projektmitarbeiterin im FWF-FWO Joint Project Patients and Passions. Catholic Views on Pain in 19th Century Austria.
- Seit April 2018 Senior Scientist am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck
Wichtigste Forschungsprojekte:
- 2018–2022 Patients and Passions. Catholic Views on Pain in 19th Century Austria. Joint Project FWF¬–FWO
- 2013–2017 Sorge(n) um die Seele. Psychiatrie und Religion in Tirol 1830–1850. Erika Cremer Habilitationsprogramm der Universität Innsbruck
- 2011–2013 Wanderausstellung „Ich lasse mich nicht länger für einen Narren halten. Eine Ausstellung zur Geschichte der Psychiatrie in Tirol – Südtirol – Trentino”, kuratiert von L. Noggler-Gürtler, C. Di Pauli; gefördert vom Südtiroler Landesarchiv, Bozen. Mitglied des projektverantwortlichen Leitungsteams sowie Leitung des wissenschaftlichen Teams
- 2008–2011 Psychiatrische Landschaften. Die Psychiatrie und ihre Patientinnen und Patienten im historischen Raum Tirol-Südtirol von 1830 bis heute. www.psychiatrische-landschaften.net; gefördert vom EU Programm Interreg IV Italien-Österreich (Mitglied des Leitungsteams)
Organisation
Institut/Abteilung
realer Besuch in
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Wissenschaftsbereiche
- GEISTESWISSENSCHAFTEN
- KUNST UND KULTUR