„Geschlossene Anstalt?“ Die Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling in der NS-Zeit und im kollektiven Gedächtnis

Kurzbeschreibung des Forschungsprojekts

1902 als „Kaiser-Franz-Joseph-Landes-Heil- und Pflegeanstalt“ gegründet, war Mauer-Öhling mit seinen rund 2000 Betten die drittgrößte Klinik Österreichs, die im Rahmen der NS-„Euthanasie“ Patientinnen und Patienten in Tötungsanstalten deportierte oder intern ermordete. Über diese Verbrechen wurde noch wenig geforscht und kaum öffentlich diskutiert. Zwar war Mauer-Öhling eine „geschlossene“ Anstalt, doch ist von Kontakten zwischen Insassen, medizinischem Personal sowie dem angeschlossenen Wirtschaftshof und der Bevölkerung der Umgebung auszugehen. Dr. Philipp Mettauer fragte daher im ersten Teilprojekt nach dem Informationsfluss nach außen: Auf welche Weise und durch welche Akteure konnten welche Informationen aus der Anstalt gelangen. Die Inhalte und Spuren oder auch das Fehlen oder Verleugnen dieser Informationen erhoben im zweiten Teilprojekt gemeinsam mit Dr. Wolfgang Gasser die am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schüler. Sie recherchierten in Regionalmedien und führten, angeleitet und begleitet durch das Projektteam, Interviews mit ausgewählten Personen – Anstaltspersonal, Angehörigen von Opfern – durch. Ziel des Projekts war nicht nur, Kenntnisse über den Wissensstand zu den Vorgängen in der Klinik während der NS-Zeit zu erlangen, sondern auch dessen heutige Präsenz im kollektiven Gedächtnis der Region Amstetten festzustellen. Die Forschungen der Schülerinnen und Schüler vergrößerten dieses Wissen. Die Projektarbeit führte bereits zu einem Mahnmal für die Opfer von Mauer-Öhling, an dessen Enthüllungszeremonie interessierte Schüler/innen beteiligt waren.

Themenanregungen für VWA und Diplomarbeit

  • Analyse von Gedenkorten zur NS-Medizin: https://www.gedenkort-t4.eu/de
  • Biographien von Ermordeten: http://lebensspuren.schloss-hartheim.at/
  • Videointerviews mit ZeitzeugInnen der Wiener Jugendfürsorge: http://gedenkstaettesteinhof.at/de/interviews
  • Der Umgang mit körperlich oder geistig „Behinderten“ in der Geschichte, Vergleich verschiedener Epochen, z. B. Mittelalter und Aufklärung
  • Die Wahrnehmung und Bewertung von Behinderung in verschiedenen Epochen von Mittelalter bis zur Gegenwart
  • Die „Utopie des gesunden Volkskörpers“ in der NS-Zeit
  • Neue Entwicklungen in der Sicht auf „Behinderte“ seit der Psychiatrie-Reform der 1970er Jahr
  • Verfolgte Kinder im Nationalsozialismus: Während in Mauer-Öhling nur volljährige Psychiatrie-Patientinnen und Patienten untergebracht waren, existieren in den „Heil- und Pflegeanstalten“ Gugging, Graz, Klagenfurt und „Am Spiegelgrund“ in Wien sogenannte Kinderfachabteilungen, in denen „erbkranke“, „asoziale“ und „schwer erziehbare“ Kinder medizinischen Versuchen unterzogen, gequält und ermordet wurden. Während dieses Thema bis in die 1990er Jahre in Österreich tabuisiert blieb, liegen mittlerweile eine Reihe von (Auto-)Biografien von Überlebenden, Videointerviews, Dokumentar- und Kinofilme, wissenschaftliche Literatur, Romane sowie ein Theaterstück vor. Schülerinnen und Schüler könnten anhand dessen die Handlungsoptionen der internierten Kinder, die Lebensverhältnisse in den Anstalten und die Strategien ihres Überlebens erforschen.

Einstiegsliteratur

  • Gitschtaler, Bernhard (2017). Geerbtes Schweigen. Die Folgen der NS-„Euthanasie“. Salzburg-Wien: Otto Müller Verlag.
  • Kepplinger, Brigitte (2008). NS-Euthanasie in Österreich: Die „Aktion T4“ – Struktur und Ablauf. In: Dies., Gerhart Marckhgott & Hartmut Reese (Hrsg.) Tötungsanstalt Hartheim. Linz: Oberösterreichisches Landesarchiv.
  • Gasser, Wolfgang (2018). Rethinking Mauer-Öhling! Forschen und Gedenken in Niederösterreich im Kontext der NS-„Euthanasie“ In: Erinnerungskulturen, historisch-politische Bildung. Themendossiers zur Didaktik von Geschichte, Sozialkunde und Politischer Bildung, No. 9. 2018, S. 28-31.
  • Elsbeth Bösl/Anne Klein/Anne Waldschmidt (Hrsg.), Disability History. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung, Bielefeld 2010
  • Elsbeth Bösl, Politiken der Normalisierung. Zur Geschichte der Behindertenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland (= Disability Studies; Bd. 4), Bielefeld 2009
  • Markus Dederich, Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld 2007.
  • Günther Häßler, Frank Häßler, Geistig Behinderte im Spiegel der Zeit. Vom Narrenhäusl zur Gemeindepsychiatrie. Stuttgart: Thieme 2005
  • Alexander Ivic, Zum gesellschaftlichen Umgang mit geistig behinderten Menschen und deren Betreuung von der Antike bis zur Gegenwart. Diplomarbeit an der Univ. Wien 2013, online: http://othes.univie.ac.at/26642/1/2013-02-24_0308608.pdf (16.9.2019)
  • Max Liedtke (Hrsg.), Behinderung als pädagogische und politische Herausforderung. Bad Heilbrunn 1996
  • Ernst Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt/Main 1985
  • Ilsemarie Walter, Elisabeth Seidl, Vlastimil Kozon (Hrsg.), Wider die Geschichtslosigkeit der Pflege. Wien 2004
  • Online Handbuch Inklusion als Menschenrecht https://www.inklusion-als-menschenrecht.de/ (16.9.2019)
  • Steve Sem-Sandberg, Die Erwählten, München 2017.
  • Alois Kaufmann, Totenwagen. Kindheit am Spiegelgrund, Wien 2007.
  • Oliver Lehmann, Traudl Schmidt, In den Fängen des Dr. Gross: das misshandelte Leben des Friedrich Zawrel, Wien 2001.
  • Videointerviews mit Überlebenden vom Spiegelgrund: http://gedenkstaettesteinhof.at/de/interviews
  • Peter Nausner, Unwertes Leben – Ein Bericht über die NS-Psychiatrie in Österreich 1938-1945, ORF-Dokumentarfilm 1984, abrufbar auf: https://www.youtube.com/watch?v=SPnQkaCPztY

Spezialisierung

Besonders für AHS geeignet
Citizen Science-Projekt
Besonders für BHS geeignet
Forschungsfeld:

Zweiter Weltkrieg, Nationalsozialsimus, NS-Euthanasie

Schlüsselwörter: Zweiter Weltkrieg, Nationalsozialismus, NS-Euthanasie

Übermittler der Themenanregung:
Institut für jüdische Geschichte Österreichs