Der historisch-systematische Ort von Meister Eckharts lateinischen Bibelkommentaren

Kurzbeschreibung des Forschungsprojekts

Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil ist die Epoche der mittelalterlichen Scholastik keineswegs eine Zeit finsterer Unaufgeklärtheit und dogmatischer Intoleranz. Im Gegenteil: Seit dem späten 12. und frühen 13. Jahrhundert beginnen die scholastischen Philosophen und Theologen, sich intensiv mit der aristotelischen Philosophie auseinanderzusetzen und den wissenschaftlichen Anspruch der christlichen Theologie sowie den Vernunftcharakter der Hl. Schrift kritisch zu reflektieren. Meister Eckhart geht in seiner denkerischen Durchdringung des Christentums besonders weit.

Seiner Ansicht nach ist der historische Offenbarungsglaube von der philosophischen Vernunfterkenntnis gar nicht dem Inhalt, sondern nur der Form nach verschieden. Jede Offenbarungswahrheit ist also im Kern eine Vernunftwahrheit. Um das zu erkennen, muss man allerdings die besondere Sprache des geoffenbarten Bibeltextes in eine allgemein verständliche, philosophische Begrifflichkeit "übersetzen". Eckharts Vorhaben besteht also darin, eine besondere Form der philosophischen Schriftauslegung zu entwickeln. Aus diesem Grunde haben seine lateinischen Bibelkommentare eine besondere, für die damalige Zeit ungewöhnliche Form. Eckhart legt die einzelnen Bücher des Alten und Neuen Testaments nicht fortlaufend aus, sondern sucht sich ganz bestimmte Passagen oder sogar nur einzelne Verse heraus und interpretiert sie nach philosophischen Kriterien. Letztlich steht hinter dieser Methode die Überzeugung, dass auch innerhalb der Bibel noch im kleinsten Teil das Ganze enthalten ist.

Man kann demnach von jedem beliebigen Satz der Hl. Schrift ausgehen und von dort aus wie in einem Netzwerk in alle Richtungen weiter fortschreiten, um nach und nach die ganze Wahrheit des biblischen Textes zu erschließen. Das Forschungsprojekt stellt sich die Aufgabe, die Struktur von Eckharts Bibelkommentaren genau zu analysieren und das darin liegende, besondere Verhältnis von geschriebenem Text und lebendiger Vernunft besser zu verstehen.

Themenanregungen für VWA und Diplomarbeit

  • Eine Möglichkeit bestünde darin, einen nicht zu langen Abschnitt aus einem von Eckharts Bibelkommentaren genau zu analysieren, um herauszufinden, wie die Methode der "Übersetzung" von biblischer Sprache in philosophische Sprache im Einzelnen funktioniert.
  • Eine zweite Möglichkeit wäre, anhand ausgewählter deutscher Predigten Meister Eckharts ( z.B. Predigt 9) genauer zu untersuchen, welche Rolle die Vernunft in der Beziehung zwischen Gott und Mensch spielt.

Einstiegsliteratur

  • Flasch, K.: Meister Eckhart - Philosoph des Christentums, München, Beck, 2010.
  • Enders, M.: Die Heilige Schrift – das Wort der Wahrheit. Meister Eckharts Verständnis der Bibel als eines bildhaften Ausdrucks des göttlichen Wissens, in: Schönberger, R. - Grotz, S. ( Hrsg.): Wie denkt der Meister?, Stuttgart, Kohlhammer, 2012, 55 - 99.
  • Manstetten, R.: Meister Eckharts Verfahren der Schriftauslegung, in: Bonheim, G. - Kattner, P. (Hrsg.): Mystik und Schriftkommentierung, Berlin, Weißensee - Verlag, 2007, 101 - 123.
  • Weiss, K .: Die Hermeneutik des Meister Eckhart, Studia theologica 21 (1967), 1 - 12.

Spezialisierung

Projekt mit zusätzlichen Unterstützungsangeboten
Für Spezialist/innen
Forschungsfeld:

Das Verhältnis von natürlicher Vernunfterkenntnis und Offenbarungsreligion, insbesondere mit Blick auf eine philosophische Auslegung der Hl. Schrift

Schlüsselwörter: Bibel, Auslegung, Verse, Interpretation

Übermittler der Themenanregung:
Universität Wien

Bei diesem Projekt bietet dir das Forschungsteam folgende weitere Unterstützung an:

Persönliche Gespräche/Interviews über das Forschungsthema; bei Bedarf weitere Literaturhinweise

Über Kontaktaufnahme freut sich:

Dr. lic. phil. Martina Roesner